Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten. Ich denke immer mal wieder darüber nach, wie ich das eigentlich finde. Mittlerweile ist mir klar geworden, dass es nicht darum gehen kann, einfach alles umzudrehen.

„Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und  es sind Erste, die werden die Letzten sein!“ (Lukas 13,30)

Als ich das erste Mal mit anderen Mitarbeitenden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau beim „Chase-Firmenlauf“ in Frankfurt mit gelaufen bin, hatten wir T-Shirts mit dieser Aufschrift: „Die Letzten werden die Ersten sein!“ Ich fand das T-Shirt cool, habe es gern durch Frankfurt getragen und habe es immer noch.

Leute, die bei dem Lauf an uns vorbei liefen, grölten, klatschten, hielten den Daumen hoch und überholten.

„Wir werden uns dann ja schneller wieder sehen, als mir lieb ist“, sagte einer.

Andere lachten einfach. Sie fanden den Spruch witzig, aber das war´s auch. Ernst nahmen sie ihn nicht.
Es gab aber auch solche, die mit dem Kopf schüttelten. „

„Wer zuerst da ist, ist zuerst da. Da hat einer gut trainiert, ist begabt und hat alles rein geworfen. Fertig. Wenn andere langsamer sind, ist das ja in Ordnung, aber sie werden eben nicht die Ersten sein. Ende der Durchsage.“

In der Tat ist dieser Vers aus dem Lukasevangelium zwar irgendwie tröstlich aber nicht gerecht.
Ich bin genervt, wenn jemand zuletzt zu einer langen Schlange an der Supermarktkasse kommt. Dann öffnet eine weitere Kasse und eben dieser Letzte zieht an allen anderen vorbei und ist direkt dran. Was für ein Mist! Und wenn ich nach einer langen Wanderung in einer Berghütte ankomme und etwas zu trinken bestelle und Leute,  die nach mir bestellt haben, werden eher bedient, bin ich sauer. Denn es ist ungerecht und geht nicht in Ordnung. Da beschwere ich mich auch schon mal.

„Genau das ist letzen Endes der Grund, warum die meisten Leute nicht an Gottes Gnade glauben. Es ist verdammt anstößig.“

So schrieb es Nadia Bolz-Weber, eine lutherische Pastorin aus Denver, die in ihren Büchern in frischer Sprache viel über Gnade im Alltag von Außenseitern, „Loosern“ und Süchtigen nachgedacht und geschrieben hat. Denn sie war selbst lange süchtig und bekam ihr Leben nicht auf die Reihe.

Ihres Erachtens wird es immer dann schwierig, wenn Menschen Andere in Schubladen einsortieren: Gut- böse, gesund – krank, normal – unnormal, erste – letzte. Dann würde man so tun, als gäbe es eine menschliche Logik, die bestimmt, wer in Gottes Augen wie viel zählt und wer in Gottes Himmelreich Einlass bekäme und wer nicht. Gottes Himmelreich funktioniert aber nicht nach menschlicher Logik. Das ist der entscheidende Punkt. Gnade kann sich niemand verdienen. Sie wird von Gott geschenkt. Unabhängig von Worten und Taten. Wem einmal vergeben wurde, der ist danach leichter bereit, selbst großzügig und anderen gnädiger gegenüber zu sein. Aber es ist eben keine Voraussetzung für Gottes Gnade.

Gott berührt Menschen in ganz verschiedenen Situationen. Oftmals dann, wenn sie es am wenigsten erwarten. Egal wie süchtig, krank, dumm, schlau oder wie gläubig jemand ist. Gnade tippt auf unsere Schulter. Genauso unberechenbar, verwirrend und manchmal anstößig wie die Letzten, die die Ersten sein werden. Aber die Verhältnisse werden nicht einfach umgedreht. Sie bleiben offen und voller Hoffnung. Oder wie es Nadia Bolz-Weber ausdrückt:

„Das Reich Gottes ist wie jener Moment, in dem Gott alles neu macht. Letzten Endes kommen ihre Berufung und ihr Wert im Reich Gottes nicht daher, dass eine Kirchenorganisation … ihnen ihre Zustimmung erteilen, sondern daher, dass Gott gekommen ist und sie sich geholt hat. Die reine unauslotbare Barmherzigkeit Gottes ist es, die ihnen ihre Identität gibt und zu ihnen sagt: ‚Pass auf, das ist hier für dich.‘“
(Nadia Bolz-Weber, 2015, 86 f.).

Zum Nachlesen:

Nadia Bolz-Weber, Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen. Pastorin der Ausgestoßenen, Moers 2015