Vom 14. bis zum 16. Dezember fand die diesjährige Lesbentagung an der Evangelischen Akademie in Bad Boll statt. Über hundert Frauen fanden sich ein, um gemeinsam zu diskutieren, in Workshops Themen zu vertiefen, miteinander zu singen und Gottesdienst zu feiern. Es war eine bewegende Tagung.

Seit einem Jahr bereitet ein neues ehrenamtliches Team die Lesbentagungen in Zusammenarbeit mit Claudia Schmengler, Studienleiterin der Evangelischen Akademie Bad Boll, vor. Diese fünf Frauen jüngeren und mittleren Alters und verschiedener politischer und religiöser Hintergründe haben die Perspektiven und das Programm der Tagung vielfältig bereichert. Ein kollegialer und fröhlicher Leitungsstil rundete den guten Einstieg des Teams ab.

Lesbengeschichte

Inhaltlich ging es intensiv zur Sache. Bereits am Freitag Abend führte Corinne Rufli, promovierte Historikerin aus der Schweiz, ein in die Arbeit mit älteren lesbischen Frauen in ihrem Heimatland. Zahlreiche spannende Lebensgeschichten hat sie kennengelernt, viele Interviews hat sie geführt und daraus ein Buch gemacht. Es heißt:

„Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert.“

Zwei Frauen, Karin Rüegg (80) und Eva Schweizer (77), deren Lebensgeschichten in Ruflis Buch erzählt werden, waren ebenfalls anwesend. Zu dritt sind sie schon seit einer Weile auf Lesereise. Kurzweilig und humorvoll berichteten sie aus ihren Leben. Sie erklärten, was es für sie bedeutet, die eigene Lebensgeschichte zu erzählen und durch die Dokumentation die gesellschaftspolitischen Entwicklungen  der Schweiz in den letzten Jahrzehnten aus feministischer Perspektive konkret zu reflektieren.

Digitaler Feminismus

Am Samstag  führte  Jessica Türk vom Vorstand des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) ein in die Welt des digitalen Feminismus. Anhand einiger aktueller Hashtags auf Twitter und Instagram, verschiedener Videoclips auf Youtube und einiger Wort-Bild-Marken im digitalen Raum erläuterte sie jungen und älteren Frauen ihre  Beobachtungen zur Sprache, zu Bildern und Gesichtern der Frauenbewegung der letzten Jahre im Netz. Türk betonte, dass viele Frauen auffallend isoliert und mit vergleichsweise viel Text auf feministische Themen aufmerksam machen. Aber auch Humor, Selbstironie und Poetry Slams sind beliebte Mittel, um feministische Botschaften digital im 21. Jahrhundert in die Welt zu bringen.  Türks Beobachtungen und Thesen sind für die Zukunft feministischer Debatten richtungsweisend.

50 Jahre lesbisch feministisch: Lising Pagenstecher

Die Journalistin und epd-Mitarbeiterin Natalia Matter führte ein in die Lebensgeschichte von Lising Pagenstecher, da diese selbst aus Krankheitsgründen nicht anwesend sein konnte. Lising Pagenstecher ist promovierte Soziologin und politische Aktivistin. Seit über 50 Jahren ist sie feministisch und lesbisch-feministisch im deutschsprachigen Raum aktiv. Es hat ihr Leben und ihr Denken geprägt. Über ihre Erlebnisse hat sie viel geschrieben und auf Vorträgen erzählt. Natalia Matter gab darüber einen spannenden Überblick.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Edeltraud Walla, Beauftragte für Chancengleichheit der Universität Stuttgart, führte anschließend ein in ihren Kampf durch alle gerichtlichen Instanzen, um im akademisch universitären Umfeld gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit  durchzusetzen. Ihre juristischen Erlebnisse, die sie bis zum Europäischen Gerichtshof führten und die schließlich nicht von Erfolg gekrönt waren, ließen alle Anwesenden fassungslos und kopfschüttelnd zurück. Hier ist weiterhin nicht viel erreicht und immer noch endlos viel zu tun.

Bisexuell, römisch-katholisch und Frau in Polen

Uschi aus Polen erzählte den Frauen aus ihrem Leben als römisch-katholische, bisexuelle und feministische Frau. Sie lebt in Polen und hat an vielen Stellen mit Vorurteilen und Stigmatisierungen zu kämpfen. Gleichzeitig erlebt sie auch viel Solidarität in der christlichen Gruppe „Glaube und Regenbogen“. Mehr als hundert Mitglieder gehören in verschiedenen Regionalgruppen diesem Netzwerk an. Sie unterstützen sich gegenseitig, erzählen sich ihre Lebensgeschichten und feiern miteinander Feste und Gottesdienste. Allerdings werden sie von der römisch-katholischen Kirche in Polen weder anerkannt noch unterstützt.
Das polnische Netzwerk gehört dem Europäischen Forum christlicher Lesben, Schwulen, Bi- und Trans-Gruppen an. In diesem  Kontext beteiligt sich Uschi an einem Mentoringprojekt des Europäischen Forums. Ihre Mentorin, Monika Bertram, war ebenfalls auf der Tagung in Bad Boll anwesend. So geschieht solidarische Begegnung und interkulturelles Lernen über Landesgrenzen hinweg.

Workshops

Neben den Vorträgen und anschließenden plenaren Diskussionen gab es Andachten, Vernetzungstreffen und Workshops  zur Begriffsklärung von „queer“, zur lebendigen Lesbengeschichte, zu einem „Spoken-Word-Workshop“ zur Neuverfassung eines Feministischen Manifests bis hin zu einer queeren Bibel-(Re-)Lektüre.

Abschlussgottesdienst mit Schuldbekenntnis

Höhepunkt der Tagung war der Gottesdienst mit Abendmahl, der von der Württembergischen Prälatin Gabriele Arnold und einem ökumenischen Team vorbereitet und gestaltet wurde. Im Rahmen des Gottesdienstes entschuldigte sich die Prälatin bei den anwesenden lesbischen und queeren  Frauen dafür, dass die Kirchen Lesben, Schwulen, bi*, trans*, inter* und queeren Menschen in den letzten Jahrzehnten soviel Leid, Grauen und Schmerzen zugefügt haben.
Sie sagte:

„Wenn Menschen wegen Liebe verachtet werden, dann macht sich eine Kirche schuldig.“

Gabriele Arnold, die auch Schirmherrin des Stuttgarter Christopher Street Days 2018 war, tat dies nicht als Privatperson, sondern als Regionalbischöfin der Württembergischen Landeskirche. Letztere segnet bis heute keine lesbischen und schwulen Paare. Sie ist damit eine der beiden letzten Landeskirchen, die dies nicht tun. Arnolds Bitte um Vergebung war ein Teil der Liturgie im Gottesdienst und wurde von den anwesenden Frauen mit Dankbarkeit angenommen. Es war ein historischer Augenblick. Bleibt zu hoffen, dass sich die Württembergische Landeskirche in Zukunft an die Devise ihrer Regionalbischöfin hält, Lesben, Schwule und queere Menschen nicht länger zu diskriminieren.

 

Zum Weiterlesen empfiehlt sich ein Interview mit Gabriele Arnold:

Anne Kampf, „Wenn Menschen wegen Liebe verachtet werden, wird eine Kirche schuldig.“