Eva Mozes Kor war mit ihrer Zwillingsschwester Miriam in Ausschwitz. Für sie war der 27. Januar 1945 ein Tag der Befreiung. Sie hatte Ausschwitz trotz aller Folter und Qualen überlebt. 50 Jahre später konnte sie ihren Peinigern sogar vergeben. Ich erinnere heute an sie im Rahmen der Aktion: #weRemeber

Im Frühjahr 1944 Eva Mozes Kor ins KZ nach Ausschwitz gekommen. Sie und ihre Zwillingsschwester Miriam, ihre Eltern und ihre beiden älteren Schwestern Edit und Aliz kamen aus Portz in Rumänien. Eva und Miriam waren zehn Jahre alt, als sie am Bahnhof in Auschwitz ankamen. Ihre Mutter packte Eva und Miriam an der Hand, um sie zu beschützen. Ihr Vater und die beiden älteren Schwestern verschwanden direkt danach. Keinen der drei sollte Eva je wieder sehen. Auch ihre Mutter sahen sie nie wieder. Eva und Miriam wurden als Zwillinge aussortiert.

A-7063. Diese Nummer wurde Eva in Auschwitz in den Arm gebrannt. Von nun an war sie nicht mehr Eva Mozes, sondern A-7063. Sie existierte nur als Nummer weiter. Sie lebte noch, weil sie und ihre Schwester Zwillinge waren. Sie wurden den tödlichen Experimenten von Dr. Mengele ausgesetzt, wie ungefähr 1500 andere Zwillingspärchen. Weniger als 200 Menschen überlebten. Sie mussten unsagbare Qualen aushalten. Aber irgendwie schafften sie es. Eva und Miriam. Wider alle Wahrscheinlichkeit.

Am Nachmittag des 27. Januar 1945, vier Tage vor ihrem 11 . Geburtstag, betraten Soldaten der Roten Armee das Lager. Sie fanden dort noch knapp 8000 ausgemergelte Gefangene vor. Unter ihnen Eva und Miriam. In den Lagerhäusern wurden 350.000 Männeranzüge 837.000 Frauenkleider, Zehntausende Paar Schuhe, mehr als sieben Tonnen menschliches Haar, Berge von Baby- und Kinderkleidung. Auschwitz ist bis heute das grausamste Symbol für eine geplante und systematische Vernichtungsmaschinerie. Aber Eva und Miriam überlebten. Trotz aller Entbehrungen und Torturen an ihren Körpern. Für sie wurde der 27. Januar zum Tag der Befreiung. Bis heute ist der 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Für Eva Mozes war es das Ende des Grauens. Der erste Tag in einem neuen Leben.

Eva und Miriam kehrten beide nach dem Krieg nach Rumänien zurück. Einige Jahre später siedelten sie zusammen nach Israel über. 1960 heiratete Eva Mozes den Amerikaner Michael Kor, der ebenfalls ein Überlebender von Auschwitz war. Sie zog in die Vereinigten Staaten, wo sie heute noch lebt.

Eva Mozes Kor gründete den Verein für die Überlebenden der Menschenversuche von Auschwitz und konnte 122 Überlebende ausfindig machen. Bis heute kämpft sie für Wiedergutmachung. In ihrer Vergangenheitsbewältigung setzte sie sich aber nicht nur mit ihrer eigenen Geschichte auseinander, sondern auch mit den Tätern. Sie hatte Kontakt zu einem der Nazi-Ärzte in Auschwitz, Dr. Münch, und traf sich mehrfach mit ihm. Sie konfrontierte ihn mit den Verbrechen von Auschwitz, und er wich ihr nicht aus.

So kam es, dass sie beide den 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, den 27. Januar 1995, gemeinsam in Auschwitz begingen. Als Opfer und Täter. Dr. Münch verlas dort ein Dokument über seine Verbrechen. Eva Mozes Kor verlas ihrerseits eine Amnestie-Erklärung. Sie vergab an jenem Tag Dr. Mengele und allen anderen Ärzten und Menschenschändern von Auschwitz. Sie selbst schrieb dazu im Juni 2001 in der ZEIT:

„Ich fühlte, wie eine Bürde des Schmerzes von meinen Schultern genommen wurde.
Ich war nicht länger ein Opfer von Auschwitz. Ich war nicht länger eine Gefangene meiner tragischen Vergangenheit. Ich war endlich frei.“ 

Eva Mozes Kor konnte ihren Peinigern vergeben. Mit ihrer Amnestie-Erklärung hat sie sich allerdings viele Feinde gemacht. Die meisten Überlebenden von Auschwitz konnten und wollten nicht vergeben. Und niemand kann es ihnen verdenken. Dennoch ist Eva Mozes Kor diesen Weg gegangen. Es ist ihr persönlicher Weg, den sie nur für sich entschieden hat.

Mir steht es nicht zu, ihre Entscheidung zu beurteilen. Aber sie beeindruckt mich zutiefst.
Aus christlicher Perspektive heißt es für mich, die Ereignisse von damals nicht zu vergessen. Nicht nur am 27. Januar nicht. Es ist wichtig die Ereignisse weiter zu erinnern und Verantwortung zu übernehmen, damit sie niemals wieder geschehen. Dieser Auftrag ist angesichts von wieder erstarktem Antisemitismus aktueller denn ja. Deshalb erinnere ich mich heute stellvertretend an Eva Mozes Kor. An eine bemerkenswerte Frau. Streitbar, mutig, entschlossen. Sie hat überlebt. Sie konnte vergeben.

 

Dieser Beitrag wurde von mir als Autorin mit geringen Abweichungen in einem hr 2 „Zuspruch am Morgen“ am 27. Januar 2007 gesprochen.