18.02.2019

Requiem

Heute vor 150 Jahren wurde das Deutsche Requiem von Brahms das erste Mal komplett uraufgeführt. Ich habe es im „Zeitzeichen“ von WDR 5 erfahren.

Ich war gerade dabei, in der Küche die letzte Kiste mit Töpfen und Küchengeräten zu packen, da forderte diese Nachricht meine volle Aufmerksamkeit.

Das Brahmsrequiem habe ich schon als Jugendliche mit 16, 17 Jahren im Oratoriumschor mitgesungen. Es hat mich damals tief beeindruckt. Die Musik, der deutsche Text, die Vergänglichkeit des Lebens, die durch jede Note des Werkes hindurch klangen .., alles hatte mich damals fasziniert. Eine geistliche Chormusik hatte mich voll erwischt. Wow.

Dabei war ich damals weder besonders gläubig, noch war ich religiös aufgewachsen. Meine Eltern sind beide Kulturprotestanten aus Hamburg und hanseatisch zurückhaltend mit allem, was mit Religion zu tun hat. Ich hatte im Konfirmandenunterricht viel über koedukative Erziehung gelernt, weniger über das Christentum. Aber Musik und Text vom Brahms Requiem hatten mich emotional berührt.

Warum? Schwierig zu sagen. Die Musik hat mich tief im Inneren getroffen und existenziell beschäftigt. Der Text hat mich aufgewühlt, fasziniert und getröstet. Noch bevor ich einen geliebten Menschen verloren hatte, spürte ich die tröstenden Worte in diesem Werk.

Es ging nicht um Höllenangst, Höllenqualen und Verdammnis. Es ging nicht um die Verurteilung von armen Sündern und verlorenen Seelen. Sondern um die schlichte Erkenntnis, dass das Leben endlich und vergänglich ist und trauernde Hinterbliebene getröstet und gestärkt werden. Das war für mich die Botschaft. Das war der undogmatische und nicht moralisierende Geist des Werkes, der bei mir ankam und mich durch meine pubertierende Suche nach mir selbst tröstete und irgendwie auch trug. Immer wenn ich traurig oder melancholisch war, hörte ich die Musik, und es ging mir danach besser.

Während andere Jugendliche sich über Bay City Rollers, Pink Floyd, Queen, Genesis oder Crosby, Still, Nash and Young austauschten ( was ich durchaus auch tat), hörte ich stundenlang die erste Seite meiner selbst gekauften Langspielplatte vom Brahmsrequiem. Meine vier Jahre jüngere Schwester, die mit mir zu der Zeit im selben Zimmer wohnte, konnte ein Lied davon singen. Sie mochte das Requiem auch. Aber doch nicht so exzessiv bitte…

Tja, so waren die Information aus dem Radio und die Hörbeispiele von Brahmsrequiem ein unerwarteter Besuch in meiner Vergangenheit. Ich war darauf nicht vorbereitet. Da saß ich nun vor meinen Kisten am letzten Tag vor meinem Umzug und musste weinen. Im Übergang von Ort, Zeit und Berufsleben war ich dafür wohl besonders empfänglich. Und zu weinen tat mir gut. Die Tränen mischten sich mit meiner Trauer darüber, dass ich umziehe und aus Villigst weggehe. Sie mischten sich mit Dankbarkeit über die vergangenen Jahre im Evangelischen Studienwerk und mit der Vorfreude über das, was kommt. Ich konnte die ganze Zeit vorher nicht weinen, obwohl mir manchmal danach zumute war. Mit dem Brahmsrequiem konnte ich es. Dankbarkeit und Trauer über kleine Tode und ein Requiem. Und siehe, es tat mir gut!