Seit langer Zeit poste ich mal wieder was auf meiner Webseite. Viel ist seit meinem letzten Eintrag 2022 passiert. Hier ein paar Gedanken dazu,

Über drei Jahre habe ich nichts gepostet. Ich bin stumm geblieben, zumindest auf meiner eigenen Webseite. Zu viel ist anderswo passiert. Seit ich meine beiden Bücher veröffentlicht habe: Queer-theologische Notizen (2020) und Queersensible Seelsorge (2023) sind die Anfragen für Lesungen, Workshops, Trainings und Fortbildungsveranstaltungen für mich durch die Decke gegangen.

Darüber freue ich mich einerseits riesig. Andererseits musste ich über die Hälfte der Anfragen absagen. Nur freiberuflich hätte ich das alles machen können. Vielleicht auch nicht.

Seit Beginn der 2000er Jahre bin ich persönlich und theologisch mit dem Begriff queer unterwegs. Ich habe 1998-1999 in New York gelebt und den Begriff queer für mich entdeckt. Ich schrieb darüber Gedichte, theologische Abhandlungen, Übertragungen in deutschsprachige theologische Debatten und persönliche Texte. Ich wurde belächelt, verständnislos angestarrt, mir wurde nahegelegt, dass meine Leidenschaft zu queeren Themen karriereschädigend sei. Und das war so. Die gläserne Decke als lesbisch-feministische Theologin und queere Aktivistin habe ich in Bewerbungsverfahren mehr als einmal schmerzlich erfahren. Ich war zu anders, zu schillernd, zu stark…, um in einen „normalen Betrieb“ gut reinzupassen.

Und nun, 20 Jahre später, erfahre ich ungeahnte Anerkennung für meine Arbeit. Den ersten Schritt dahin erlebte ich als Bloggerin von Beiträgen auf evagelisch.de in der Rubrik kreuz & queer. Die Sammlung von Vorträgen, Gedanken, Beiträgen, Kommentaren und queeren Relektüren biblischer Texte wurde zu einem queer-theologischen Sammelband. Für dieser Band bekam ich 2021 den Leonore-Preis verliehen. Meine Eltern waren da, Freund*innen und Weggefährt*innen. Es war für mich ein großer Tag und ein großes Fest, Pandemie hin oder her.

Und noch einmal drei Jahre später konnte ich einen i Studienurlaub nutzen, um meine über 25jährige Erfahrung als Seelsorgerin mit Hilfe von Fallbeispielen auszuwerten und Erkenntnisse für eine queersensible Seelsorge zu notieren. Die Monografie verkauft sich gut. Anfragen für Seelsorgefort- und Weiterbildungen kommen seitdem stetig an. 2024 wurde das Buch in einem kollektiven Kraftakt ins Englische übersetzt. Ein befreundeter Übersetzer, KI und eine befreundete native Speakerin und Übersetzerin aus der queeren Community halfen mir dabei. Dafür bin ich sehr dankbar.

Die Anerkennung für die beiden Bücher, meine Blogbeiträge und zahlreiche Artikel in theologischen Zeitschriften und Büchern tun mir gut. Sie machen mich aber auch nachdenklich. Braucht es wirklich diesen Erfolg, um akzeptiert zu werden? Musste ich erst zwei Bücher schreiben, um akzeptiert zu werden?

Früher habe ich selbst daran geglaubt, dass, solange ich gute Leistung abliefere, ich in Sicherheit sei und niemand mich wegen meiner sexuellen Orientierung benachteilen würde. Damit habe ich aufhilfalsch gelegen. Ich müsste schmerzlich erkennen, dass gute Leistungen und 150% Arbeitsbereitschaft vor Ausgrenzung, Häme und Diskriminierung nicht schützen. Ich wurde in den nächsten Jahren eine Zwischenraum-Sucherin, die gegen enge Schubladen, dogmatische Kategorien und Vorurteile anging und die sich am liebsten in Zwischenräumen aufhielt. Ich suchte Heimaten auf Zeit und Menschen, die diese Suchwege mit mir gegangen sind und immer noch gehen. Diese Zwischenraum-Sucherin bin ich immer noch und ich bin stolz darauf.

Meine Freund*innen, queere Netzwerke und meine europäische Wahlfamilie im European Forum of LGBTI+ Christian Groups waren und sind für mich diejenigen, die mich so manches Mal vor Verzweiflung bewahrt haben. Sie waren es, die mich davon abgehalten haben, wütend und frustriert alles hinzuschmeißen, was mit Theologie und Kirche zu hat. „Wir brauchen so Leute wie dich, die kirchliche Orte nicht den rechtspopulistischen und fundamentalistischen Gruppen überlassen!“,  sagten sie immer wieder. Und ich dachte: sie haben recht! Und betonte meinerseits, dass ich das nur mit ihnen zusammen machen könnte und nicht allein.

Meiner Frau, mit der ich seit ich fast 20 Jahre zusammenlebe, habe ich es zu verdanken, dass ich mental und körperlich gesund geblieben bin. Mit ihr und vielen anderen verbindet mich ein gemeinsamer Traum: Bunte und möglichst sichere Begegnungsorte in Kirche und Gesellschaft, in denen Menschen zusammenkommen, miteinander reden, essen und trinken, lachen und weinen, trauern und feiern, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlechtsidentität, Alter, physischen und psychischen Einschränkungen und sexueller Orientierung. Das ist mein Bild von christlicher Gemeinschaft, das ich oft genug aber gerade nicht an kirchlichen Orten gefunden habe, sondern in ganz verschiedenen Bündnissen und Netzwerken, die sich für Solidarität und Mitmenschlichkeit einsetzen.

Mit einigen dieser Bündnis-Menschen habe ich zusammen ein Buch geschrieben, das gerade herausgekommen ist. Meine Kollegin Sarah Vecera hat das Buch „Gemeinsam Anders“ herausgegeben. Und darin steht auf 12 Seiten mein bisher persönlichster Text. Gemeinsam haben wir darüber nachgedacht, wie uns Erfahrungen vom Anderssein nicht auseinandertreiben, sondern zu intersektionalen Bündnissen verhelfen. Das ist nicht nur ein Traum, sondern gelingt in Miniaturen schon jetzt immer häufiger. Für mich in Projektleitungen und im Präsidium des Evangelischen Kirchentags, in meiner Wahlfamile des European Forums, im Team der queeren Regenbogen-Gottesdienste in Mainz und an anderen Orten. Diese Erfahrungen geben mir Hoffnung – trotz aller Sorgen angesichts einer zunehmend aus den Fugen geratenen Welt, die von rücksichtslosen Autokraten, Diktatoren und narzisstischen Milliardären beherrscht und zerstört wird.

Gemeinsam können wir mehr bewirken, als wir denken. Auch gegen die Angst. Ich werde jedenfalls nicht aufhören, in meinen Kontexten mitmenschliche, solidarische und queerfreundliche Orte zu gestalten und zu schützen. Mach du auch mit! Gemeinsam sind wir stärker und können mehr bewirken als wir denken!

Zum Weiterlesen

Kerstin Söderblom, Queer theologische Notizen, Nieuwegein/Nl 2020

Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023

Kerstin Söderblom, Queer Affirming Pastoral Care, Göttingen 2024

Sarah Vecera (Hg.), Gemeinsam Anders, München 2025