Wer kann wem etwas gönnen? Das ist ein heikles Thema. In der Bibel gibt es dazu eine Geschichte, die nicht unumstritten ist. Einige Gedanken dazu.

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn hat sich der Vater über den heimgekehrten Sohn gefreut.
Der war alleine aufgebrochen und hatte auf seiner Reise alles ausgegeben und verloren.
Mit nichts in der Tasche kehrte er nach Hause zurück. Trotzdem wird die Heimkehr groß gefeiert.
Aber der ältere Sohn ist wütend. Er war die ganze Zeit zuhause geblieben, hatte hart gearbeitet und war loyal. Für ihn wurde bisher aber noch kein Fest gefeiert. (Lukas 15,25-32)

Geschwisterstress:
Der Ältere ist vernünftig, fleißig, loyal.
Der Jüngere ist neugierig, unbedacht, abenteuerlustig.
Der Ältere bleibt, der Jüngere geht.
Er kommt abgebrannt und ohne alles zurück.

Der Ältere ist klug und weise?
Der Jüngere ist draufgängerisch und naiv?
Steckt nicht beides in jedem Menschen?
Vernünftig und neugierig.
Fleißig und unbedacht.
Loyal und abenteuerlustig.

Die beiden Brüder halten mir den Spiegel vor.
Was ist wichtig im Leben?
Wie will ich leben und mit wem?
Was möchte ich ausprobieren?
Welche Fehler darf ich machen?
Bekomme ich eine zweite Chance?
Kann ich auf Wohlwollen hoffen?
In welcher Lebenssituation bin ich der ältere, wann der jüngere Bruder?

Und der Alltag zeigt:
Überall lauern Eifersucht, Neid, Wut und Enttäuschung.
Für den Bruder wird gefeiert, für mich nicht.

Der Grundkonflikt:
Der ältere Bruder fordert Gerechtigkeit.
Der Vater gibt Güte.

Zwei Prinzipien streiten sich:
Gerechtigkeit folgt klaren Rechtsprinzipien.
Güte ist unberechenbar und nicht verlässlich.
Das eine wird gegen das andere ausgespielt.

Aber Leben geht anders.

Was das Gleichnis deutlich macht:
Gerechtigkeit  ohne Güte ist kalt.
Güte ohne Gerechtigkeit ist willkürlich.
Es braucht beides, um zu leben.

Der ältere Bruder braucht Großmut und Stärke, um dem jüngeren zu zeigen:

„Ich gönn dir das!“

Der Vater braucht Mitgefühl für den Jüngeren und Respekt für den Älteren:

„Ich kann deine Wut verstehen!“

Erst dann können beide sagen:

„Was für ein Glück! Der Jüngere ist wieder da!
Lasst uns zusammen feiern und dafür dankbar sein!“