Norwegen traut sich! Die Lutherische Kirche in Norwegen stimmt auf ihrer Synode in Trondheim für die Ehe-Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare.
Seit zwanzig Jahren verfolge ich die kirchenpolitische Entwicklung in der Lutherischen Kirche in Norwegen recht genau. Ich habe dort viele Freundinnen und Freunde. Mein positives Vorurteil, dass in Norwegen nicht nur staatlich sondern auch kirchlich alles viel fortschrittlicher sei als in Deutschland, hat sich aber nur teilweise als richtig erwiesen.
Ich musste lernen, dass Teile der Lutherischen Kirche in Norwegen sehr traditionell und konservativ sind. Sie tragen und trugen gegenüber Lesben und Schwulen geradezu einen Kampf um die letzte Bastion konservativer Werte aus. Zuerst ging es um die Frage, ob lesbische und schwule Pfarrerinnen und Pfarrer im Pfarrhaus zusammen leben dürfen. Dann ging es um die Frage der Segnung lesbischer und schwuler Paare in der Kirche. Danach kam der Streit um die Adoption von Kindern in Regenbogenfamilien. In den letzten Jahren ging es schließlich um die Frage, ob Lesben und Schwule standesamtlich und kirchlich in Kirchen heiraten können. Dazu muss man wissen, dass heterosexuelle Paare in der ehemaligen Staatskirche von Norwegen sowohl die standesamtliche als auch die kirchliche Trauung in Kirchen vornehmen können. Es ist sozusagen ein „All- inclusive-Paket“.
Seit 2009 gibt es in Norwegen zwar eine staatliche Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Eheschließungen. Aber nicht in den Kirchen. Seitdem wurde darüber gestritten, ob auch lesbische und schwule Paare in Kirchen standesamtlich und kirchlich heiraten können oder nicht.
Am Montag, den 11. April 2016, war es dann endlich soweit: 88 der 115 Delegierten stimmten auf der Kirchensynode in Trondheim für die Gleichstellung lesbischer und schwuler mit heterosexuellen Eheschließungen. Ab Januar 2017 dürfen auch lesbische und schwule Paare in Kirchen standesamtlich heiraten und sich gleichzeitig kirchlich trauen. Allerdings können Pfarrer, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung keine Lesben und Schwule trauen wollen, nicht dazu gezwungen werden. Die Abspaltung konservativer Christinnen und Christen soll damit verhindert werden.
Der Erfolg der Abstimmung geht auf die engagierte Arbeit der liberalen Offenen Volkskirche zurück, die im letzten Jahr die Kirchenwahlen in Norwegen fast mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen hat. Ein beeindruckendes Ergebnis!
Zur Synodenentscheidung am 11. April habe ich Randi O. Solberg nach ihrer Einschätzung gefragt. Sie ist seit 21 Jahren Mitglied in der Åpen Kirkegruppe (Offene Kirchengruppe) in Oslo. Die Offene Kirchengruppe ist ein Netzwerk, das sich in Norwegen seit vierzig Jahren für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-, Intersexuellen, Transgender und Queers in den Kirchen einsetzt.
Solberg bezeichnet die aktuelle Entscheidung als historisch. Es geht ihr dabei nicht nur um die „Homo-Frage“, sondern auch um die Frage, welche Kirche in Norwegen zukünftig gestärkt und gelebt werden soll. Bisher haben nach Solberg vor allem die Konservativen definiert, wer zur Kirche dazu gehörte und wer nicht. Nun sind die Kirchentüren weit geöffnet. Diese Öffnung zeigt: Alle Menschen sind einzigartig und ganz verschieden. Aber sie sind gleich viel wert vor Gott und den Meschen. Und sie sind alle herzlich willkommen.
Für Solberg ist die Entscheidung persönlich ebenfalls bedeutsam. Wenn sie und ihre Partnerin sich entscheiden wollen zu heiraten, wird es keine Ehe zweiter Klasse mehr sein. Für sie ist es national wie international ein wichtiges kirchenpolitisches Signal und ein klares Votum für die Gleichstellung lesbischer und schwuler Paare.
Lange Zeit hat Solberg überlegt, aus der Kirche austreten. Sie hat sich nicht willkommen und entfremdet gefühlt. Aber dieses Gefühl ist vorbei. Nun ist sie stolz, Teil der Lutherischen Kirche in Norwegen zu sein.
Worüber sie sich allerdings immer noch ärgert: Dass es die Möglichkeit für konservative Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, Lesben und Schwulen die kirchliche Eheschließung zu verweigern.
Auf der Synode wurde ebenfalls beschlossen, eine neue Trauliturgie zu erarbeitet, die für homo- und heterosexuelle Paare gelten wird. Allerdings werden konservative heterosexuelle Paare das Recht haben, die neue Liturgie abzulehnen. Sie können weiterhin nach der traditionellen Liturgie getraut werden. Solbergs Kommentar dazu:
„Wenn die den neuen Hochzeitskuchen nicht mit uns teilen möchten, dann bitte schön. Ich werde ihnen die Feier nicht verderben, indem ich sie daran hindere, das alte Brot zu essen!“
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