Überraschungen kommen immer wieder vor. Auch dann, wenn ich es am wenigsten erwarte. So ist es mir letzte Woche am Bahnhof in Hamm passiert:
„Nun komm schon! Das gibt es doch nicht! Fahr jetzt sofort wieder los!“
Wütend und ungeduldig stehe ich an der Zugtür und scharre mit den Füßen. Bis kurz vor dem Bahnhof in Hamm war der Zug pünktlich. Jetzt stehen wir schon eine Weile kurz vor dem Bahnhof, und es geht einfach nicht weiter. Minütlich verschlechtern sich damit meine Chancen, meinen sicher geglaubten Anschluss zu bekommen. Wir stehen und stehen und stehen. Ich bin ungeduldig, schimpfe vor mich hin und trippele mit dem rechten Fuß. Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs und habe mich auf meinen Feierabend gefreut. Und jetzt das.
„Fahr jetzt sofort weiter, du blöder Zug! Das kann doch nicht so schwer sein!“
Aber es hilft nichts. Der Zug steht. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es weiter. Und endlich stoppt er. Ich renne den Bahnsteig entlang, runter die Treppen von Gleis 12, rauf die Treppen auf Gleis 6. Aber es nützt alles nichts. Ich schaue meinem Zug nur noch hinterher.
„Na toll, da hätte der Zug ja auch noch eine Minute warten können!“, denke ich verärgert.
Aber es kommt noch besser. Auf der großen Anzeige lese ich, dass der nächste Zug, den ich 30 Minuten später nehmen könnte, ausfällt. Gründe gibt es keine. Ansagen gibt es keine. Entschuldigungen auch nicht. Nix wird es mit sofort weiterfahren. Stattdessen habe ich eine Stunde Zeit. Ich bin genervt. Einen Mitarbeiter der Bahn sehe ich nicht. Sonst würde der was zu hören kriegen. Aber es gibt niemanden, den ich beschimpfen kann. Und sofort schon gar nicht.
Schon vergessen? Ich faste „7 Wochen ohne Sofort“. Ich wollte in der Passionszeit geduldiger sein, ruhiger, keine Hektik machen und nichts sofort unternehmen, auch nicht meckern.
Ups… Also Strategiewechsel: Ich atme tief durch, zähle bis zehn und versuche ruhiger zu werden. Ok. Ich habe eine Stunde. Ich war noch nie in Hamm. Also runter vom Bahnsteig, raus aus dem Bahnhof und rein in die Stadt. Ich überquere den Bahnhofsvorplatz und folge den Schildern in die Stadt. Ich checke die Zeit und weiter geht´ s. Nur wenig später entdecke ich die Martin-Luther-Straße. Neugierig biege ich ein und stoße auf die Lutherkirche. Sie ist geschlossen. Aber der Kirchplatz davor überrascht mich. An den Wänden der umliegenden Mauern sind bunte professionell anmutende Graffiti zu sehen. Und an den Masten der Straßenlaternen rund um den Platz sind in großen Buchstaben Sprüche angebracht. Bunte Fähnchen markieren die Orte, an denen es Poesie zu lesen gibt. Sie geben dem Platz ein freundliches einladendes Gesicht. Die Texte sprechen mich an, freuen mich. Ich lese:
„Leben ist das, was passiert, während ich eifrig dabei bin, andere Pläne zu machen!“
„Siehst du!“, sage ich zu mir selbst. „Der Spruch hat recht. Du hast eine tollen Ort gefunden. Dabei wollte ich gar nicht hier sein!“
Der Ort hat mich eingeladen aus meiner inneren Hektik auszusteigen und innezuhalten. Ohne den verpassten Anschluss hätte ich dieses poetische Quartier nicht entdeckt. Ohne die Sprüche an den Laternen hätte ich mich nicht daran erinnert, dass ich mich darin üben wollte, ruhiger zu werden und meine Ungeduld abzulegen. Nicht dass ich missverstanden werde. Ich möchte in Zukunft nicht unbedingt Züge verpassen. Aber wenn es passiert, möchte ich mich an die Haltung der Fastenaktion „7 Wochen Ohne Sofort“ erinnern, die wir zurzeit auch im Evangelischen Studienwerk mit wöchentlichen Impulsen begehen. Erstmal Luft holen und innehalten. Zeit nehmen für Unvorhergesehenes und Überraschungen. Nicht nur in der Fastenzeit.
Ich fühlte mich an dem Abend reich beschenkt, obwohl ich viel später zuhause angekommen bin, als ich es vorgehabt hatte. Ich habe den Heiligen Geist auf diesem Platz gespürt. Es war eine Atmosphäre voller kreativer Lebensweisheit, Gastlichkeit und Ruhe. Gerne wäre ich noch länger geblieben. „Sofort“ spielte keine Rolle mehr, sondern nur noch Staunen und Dankbarkeit. So wünsche ich Euch und Ihnen in der Passionszeit noch zahlreiche ruhige Momente und Zeit zum Innehalten.
Ich bin in Hamm aufgewachsen, als Eisenbahner-Kind!
Deshalb freue ich mich ganz besonders über diesen Blog-Beitrag. Danke! 🙂
Das ist ja eine tolle Überraschung, dass du aus Hamm kommst! Liebe Grüße! Sozusagen eine doppelte Überraschung! 🙂