Meine Predigt zu Ostersonntag 2018, gehalten in der Inselkirche auf Juist.
Im Predigttext vom Ostersonntag 2018 wird von Hanna berichtet. Sie hat über 1000 vor Christus in Israel gelebt. Und sie hat ein Loblied gesungen, das erhalten geblieben ist.
Im 1. Buch Samuel wird von Hanna erzählt. Wichtig war sie damals für die Geschichte Israels. Denn sie war die Mutter vom Propheten Samuel. Der hat zurzeit vom König Saul geweissagt. Hanna war eine eigenständige Frau mit eigenen Ansichten. Bedeutsam ist Hanna auch für uns heute. Denn sie hat erlebt, was Auferstehung heißt, Auferstehung mitten im Leben.
Hanna war eine selbstbewusste und stolze Frau. Sie war weder jung noch schön. Ihre Falten um die Augen zeigten: diese Augen hatten schon viel gelacht und auch schon reichlich Tränen erlebt. An jenem Tag war Hanna fröhlich und aufgeregt, angespannt und traurig. Alles zugleich. Ihr Gang war aufrecht und frei. Das war bemerkenswert. Denn ihre Lebenssituation war, gelinde gesagt, schwierig. Es war der Tag, an dem sie ihren Sohn in den Tempel brachte. Sie weihte Gott und dem Tempel ihren kleinen Sohn Samuel, so wie sie es Jahre zuvor versprochen hatte.
Und warum? Weil Hanna, die gelaubt hatte keine Kinder bekommen zu können, Jahre zuvor doch noch einen Sohn bekam. Und sie versprach, ihn mit vier, fünf Jahren den Priestern im Tempel zu übergeben, damit er von ihnen unterrichtet würde. Hanna war dazu bereit. Denn sie wollte unbedingt ein eigenes Kind. Einen Sohn geschenkt zu bekommen und ihn dann so früh wieder zu verlieren, war brutal. Aber besser so als kein Kind. So war es für beide, Mutter und Sohn, ein trauriger Tag, ein feierlicher Tag, ein schwieriger Tag.
Was die anderen dachten, war Hanna inzwischen ziemlich egal. Das kannte sie schon. Als sie noch kinderlos war, tuschelten die Leute. Da war sie komisch, keine richtige Frau, irgendwie anders. Als sie dann einen Sohn gebar, war es auch wieder nicht richtig. Sie war doch viel zu alt. Und überhaupt, hatte sie eigentlich einen Ehemann? Hanna hatte das Gerede früher viel ausgemacht. Aber sie hatte gelernt damit zu leben. Man konnte es den Leuten ja doch nicht recht machen.
Mittlerweile konnte sie niemand mehr kränken. An dem Tag war sie außerdem zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie jubelte und trauerte, war dankbar und verzweifelt zugleich. Sie hatte einen tollen Sohn. Sie war stolz auf ihn. Seine Mutter würde sie bleiben. Aber Samuel würde von nun an im Tempel wohnen und in der Auslegung der Heiligen Schriften ausgebildet werden. Er würde ein wichtiger Prophet werden. Das hatte Gott ihr mitgeteilt. Und Hanna fügte sich. Sie hielt ihr Versprechen, obwohl sie ihren Sohn behalten wollte. Und sie wusste doch, dass das Schicksal es anders wollte.
Was für ein brutaler Schritt für eine Mutter! Sie hatte gekämpft, geweint, gelacht, geschwitzt, gehadert, geschrien, gebetet. Bis sie kapiert hatte, dass sie immer Mutter bleiben würde. Egal, was geschah. Auch wenn Samuel im Tempel wohnen würde. Sie würde ihn weiter begleiten, wäre weiter für ihn da. Aber eben anders. Sie kämpfte darum, ihn loslassen zu können. Und nun sollte es passieren. Was für ein Wahnsinn! Sie machte es, weil sie es versprochen hatte. Punkt. Ende der Durchsage. Und die Bibel erzählt, dass sie fröhlich dabei war. Sie lobte Gott sogar mit einem besonderen Lied. Wir hören es im Predigttext:
Erstes Buch Samuel 2,1–2, 6–8a
(Bibel in gerechter Sprache)
1 Dann betete Hanna und sagte:
Es frohlockt mein Herz in Gott,
erhaben ist mein Horn in Gott.
Mein Mund ist aufgetan gegen die, die mir feind sind,
denn ich erfreue mich deiner Hilfe.2 Keiner ist heilig wie der Heilige, ja keine außer dir.
Keiner ist ein Fels wie unser Gott.6 Der Heilige tötet und macht lebendig,
führt hinab in die Unterwelt und herauf.7 Der Heilige beraubt und bereichert, erniedrigt und erhöht,
8 richtet Geringe aus dem Staub auf,
erhebt Arme aus dem Müll,
um sie an die Seite der Edlen zu setzen.
Einen Ehrenplatz gibt ihnen Gott.“
Hanna sang damals dieses bemerkenswerte Lied. Es wurde zum Vorbild für Marias Lied. Die Mutter von Jesus. Sie sang 1000 Jahre später ihr Magnificat und zitierte dabei Hannas Worte. In Hannas Lied wurden die Geringen bedeutsam und die Mächtigen wurden an den Rand geschoben. Die Verhältnisse kehrten sich um. Und sie lobte Gott in ihrem Lied. Trotz allem. Wie hat sie das bloß geschafft? Wie hielt sie das aus? Und das bei ihrer Vorgeschichte:
Denn Hanna kannte schon vorher innere Not. Sie wusste, wie es sich anfühlt, wenn es einem fast das Herz zerreißt, wenn einem so zumute ist, dass nur noch Tränen übrig sind. Gewiss, sie war verheiratet. Aber das war nicht genug. Denn sie konnte keine Kinder gebären. Und nur darauf achteten die Nachbarn, die Bekannten und die Familie. Nur als Mutter wurden Frauen damals als „richtige Frauen“ angesehen. Sonst blieb ihr Leben nach damaligen Verständnis ohne Erfüllung, ohne Sinn.
Und dann kam auch noch das Gerede und die üble Nachrede hinzu. Und Hanna konnte dem nichts entgegensetzen. Als wenn ihre Kinderlosigkeit nicht schon brutal genug gewesen wäre. Ja, wenn sie nur einen Sohn hätte. Dann würde das Leben noch einmal neu beginnen. Dann würde alles ganz anders werden!
Beim nächsten Neujahrsfest ging Hanna in den Tempel, allein.
Sie brachte ihre Not vor Gott. Sie klagte, weinte, schrie und betete. Das ganze Leid, die ganze Schmach brach aus ihr heraus. Sie wurde aktiv, weil sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte.
Wenn du mich wirklich siehst, wenn du an mich denkst und mich nicht vergisst, dann gibst du mir und ich gebe dir (frei nach 1 Sam 1,11).
So sprach Hanna mit Gott. Sie wurde aktiv, sie machte Gott ein Angebot und verhandelte mit ihm. Und das Wunder trat ein. Sie bekam einen Sohn. Und als ihre Sohn vier, fünf Jahre alt geworden war, schenkte sie Samuel her – traurig, dankbar, zerrissen und doch aus tiefstem Herzen. Das kann heutzutage kaum noch jemand nachvollziehen. Damals war das durchaus ein normaler Weg. Aber einfach war der Weg trotzdem nicht für Hanna. Sie bleib zerrissen zurück.
Und was soll Hannas Geschichte nun hier und heute am Ostersonntag bedeuten? Keine einfache Frage. Keine einfachen Antworten. Kein Zweifel, sie hatte etwas sehr Ungewöhnliches getan, und ihre Gebet wurde erhört. Unerschütterlich hat sie auf den Durchbruch des neuen Lebens gehofft, ist dran geblieben, hat nicht nachgelassen.
Wird ihre Geschichte deshalb erzählt?
Wir erfahren von einer Auferstehung einer Frau als Mutter mitten im Leben. Und wir hören ihr Gotteslob. Es kehrte die Verhältnisse um und rückte die Niedrigen und Außenseiter, wie sie selbst eine war, in die Mitte des Geschehens. Das Lied gab den einfachen Menschen, – verheiratet oder unverheiratet, mit oder ohne Kinder -, ihre Würde zurück.
Kann dieses Lied uns heute ermutigen, für unsere Aufbrüche und Neuanfänge im Leben aufzustehen und aktiv zu werden, so wie es Hanna damals getan hatte?
Nun, zunächst einmal ist auch Leben für Menschen heute weder einfach noch geradlinig. Auch heute kennen Frauen und Männer leidvoll das Schicksal, wenn sie gerne Kinder bekommen würden, aber es nicht klappt. Aus welchen Gründen auch immer. Andere haben andere Hoffnungen und Träume. Sie setzen auf berufliche Erfolge und Fortschritt, auf Neuerungen und auf kreative „Neugeburten“. Und auch die gehen nicht immer auf. Vieles davon kommt anders, vieles klappt nicht, scheitert, zerbricht. Leben bleibt bruchstückhaft, mit Höhen und Tiefen, Umwegen, Hindernissen, Sackgassen und mit zahlreichen losen Enden. Unsicherheiten sind da, Zweifel und Fragen, Krisen und Konflikte, die Menschen versuchen zu ertragen und zu verarbeiten. Mit unterschiedlichem Erfolg.
Und gesellschaftspolitisch sieht´s noch düsterer aus: Unrecht geschieht in der Welt. Bürgerkriege, Terrorattacken, Hass und Gewalt aufgrund verschiedener Nationen, Kulturen und Religionen. Der Kampf um Macht, Einfluss und Geld ist in vollem Gang. Die kriegerischen Auseinandersetzungen an vielen Orten der Welt rufen immer größere Not bei den Betroffenen hervor. Sie zwingen zu Heimatverlust, Flucht, Migration. Manche verlieren alles und kämpfen nur noch ums nackte Überleben.
Viele macht das stumm – und sprachlos. Wer kann da noch da fröhlich singen und Gott von ganzem Herzen loben? Wer kann da noch unbeschwert das Leben genießen, unbelastet fröhlich sein? Ist es da nicht geradezu zynisch, Gott zu loben, wie Hanna es getan hatte?
Aber vielleicht hält die Osterbotschaft genau das für uns bereit. Etwas, das uns Hanna vorgelebt hat: Es geht darum, die Gegensätze zusammenzuhalten und was draus zu machen. Es geht darum, die Hoffnung nicht zu verlieren – Trotz Krisen und Verlust, trotz Trauer und Problemen. Hanna war aktiv geworden. Sie hatte sich fürs Leben entschieden. Sie gebar einen Sohn und war glücklich. Und sie verlor ihn wieder und war traurig. Und sie lebte trotzdem weiter und war stolz auf ihren Sohn. Sie entließ ihn in die Freiheit. Für unsere heutigen Verhältnisse viel zu früh. Aber sie tat´s. Das hatte sie versprochen. Und sie blieb da. Beharrlich im Hintergrund. Aber nie weg. Sie beobachtete, hielt aus, freute sich mit, stand wieder auf und lebte ihr eigenes Leben mit neuer Kraft weiter. Als stolze Frau und selbstbewusste Mutter. Ohne auf das Gerede der anderen zu hören.
Hanna hatte es am eigenen Leib erlebt: Gott hat sie wieder aufgerichtet. Er hat ihr ihre Würde zurück gegeben. Denn in Gott werden Gegensätze zusammengehalten. Mann oder Frau, arm oder reich, mit oder ohne Kinder, krank oder gesund, einheimisch oder fremd, lebendig oder tot gesagt.
Gott hält beides in den Händen: das Elend – und die Kraft für einen Neuanfang aus dem Elend heraus. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. So musste auch Jesus sterben und konnte erst nach Tod und Begräbnis auferstehen. Der Weg zum Leben führt durch das Sterben hindurch. Und am Ende steht die Freude über neugewonnenes Leben.
Hanna zeigt uns, wie wir Ostern feiern können. Sie zeigt uns, was geschieht, wenn wir unseren Schmerz und unsere Fragen, unseren Zweifel und unsere Freude Gott anvertrauen. Die Freude wird sich durchsetzen – trotz allem. Auferstehung wird sein, schon jetzt, wie bei Hanna, ein Aufstehen, ja ein Auferstehen. Aufrecht und frei, aufgestanden zu neuem Leben – mitten im Leben.
Predigt vom Ostersonntag, gehalten in der evangelisch-lutherischen Inselkirche auf Juist am 1.04.2018.
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