In den beiden Schöpfungsgeschichten der Bibel sind nur Adam und Eva bekannt. Es gibt aber laut jüdischen Legenden noch eine andere Frau Adams. Sie heißt Lilith.

Ein einziges Mal wird Lilith in der Bibel erwähnt. Es heißt im Buch Jesaja 34: Im zerstörten Edom treffen sich Wüstenhunde, Hyänen und Geister, und sie begegnen einander. Lilith wird dort ebenfalls erwähnt und als Nachtgespenst bezeichnet (Jesaja 34,14).

Wer war diese Lilith? Nach einer alten jüdischen Legende war Lilith die erste Frau Adams. Lilith wurde wie Adam von Gott aus Erde geschaffen und war ihm ebenbürtig. Sie akzeptierte Adam daher nicht als Familienoberhaupt und ihren Beherrscher. Und so dauerte es nicht lange, und es gab Streit zwischen den beiden.

Adam gab nicht nach und spielte sich als „Herr im Hause“ auf. Daraufhin floh Lilith. Adam ging zu Gott, erzählte ihm alles aus seiner Sicht und verurteilte Lilith heftig. Da schickte Gott einen Engel hinter Lilith her, um sie zurückzuholen. Lilith versteckte sich. Sie wollte unabhängig bleiben und kehrte nicht zurück. Daraufhin wurde sie verflucht. So heißt es in der jüdischen Legende.

Seitdem irrte sie angeblich als Nacht- und Windgeist umher. Weiter heißt es, dass ihre Kinder sterben mussten. Daher räche sich Lilith und ermorde neugeborene Kinder. Sie sei eine Dämonin von großer Schönheit und langen blonden Haaren, die schlafende Männer verführen würde.

Was für irre Männerphantasien!

Die Geschichte der Lilith in dieser Form stammt aus der Zeit zwischen dem 2. und 4. Jh. nach Christus. Die Gestalt der Lilith ist allerdings schon sehr viel älter. Bereits 2000 vor Christus gab es im Babylonischen Kulturkreis Darstellungen der geflügelten Lilith. Dort war sie eine unabhängige sumerische Göttin. Sowohl im jüdischen, im muslimischen als auch im christlichen Kulturkreis tauchten im Volksmund immer wieder Erzählungen über einen weiblichen Dämon auf, der gebärende Frauen bzw. deren neugeborene Kinder bedrohe. Die Namen für diese Dämonin wechselten. Lilith war ein Name von ihnen. Es ging immer um eine Frau, die böse und für andere Frauen gefährlich war.

Eine andere Lesart der Geschichte: Lilith kehrte nicht zurück, weil sie unabhängig bleiben wollte. Daraufhin erschuf Gott Eva aus der Rippe Adams.

Und Adam erzählte Eva Schauermärchen darüber, wie gefährlich und verflucht Lilith war, weil sie sich nicht unterordnen wollte. Denn Adam wollte das Oberhaupt von Ehe und Familie sein, so wie alle Männer nach ihm Anführer und die Chefs der Familien sein wollten. Eine unabhängige Frau passte da überhaupt nicht ins Bild. Deshalb verteufelten sie Lilith und ließen kein gutes Haar an ihr.

Als Eva all das von Adam hörte, bekam sie Angst vor Lilith. Aber eines Tages trafen sie aufeinander. Eva erschrak vor der „gefährlichen“ Lilith, und Lilith misstraute der „braven“ Eva. Doch sie waren gleichzeitig auch neugierig aufeinander und begannen miteinander zu sprechen. Sie erzählten sich von den Licht- und Schattenseiten ihres Lebens, und lernten einander besser kennen. Schließlich wurden sie Freundinnen. Und sie ließen sich durch die Männer fortan nicht mehr gegeneinander ausspielen. Die Unterordnung der Frauen in Ehe und Familie akzeptierten sie beide nicht mehr.

Die Schauergeschichten über Lilith wurden von Männern erzählt, um sie zu diskreditieren. Eine unabhängiges Leben von Frauen jenseits von Männern konnten und wollten sie nicht akzeptieren. Ehe und Familie wurden in eine patriarchale Erzählung eingebettet, die sie durch die Jahrhunderte ausbauten. Die unabhängige Lilith wurde verschwiegen oder dämonisiert.

Umso wichtiger ist es heute, sich an Lilith – die andere Frau Adams – zu erinnern. Sie lebte schon in biblischer Zeit gleichberechtigt und unabhängig neben, mit und ohne Adam. Damit lebte sie ein ganz anderes Frauenbild als Eva. Und trotzdem wurde auch Eva später verurteilt, weil sie angeblich in den Apfel biss und Adam zur Sünde verführte. Aber das ist eine andere Geschichte.