Besonnenheit und Mitmenschlichkeit sind in einer modernen Gesellschaft notwendig, um der Eskalation von Hass und Gewalt etwas entgegen zu setzen.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit:“ (2. Timotheus 1,7)

Der Monatsspruch für Januar 2016 ist gleichzeitig mein Ordinationsspruch.
Er begleitet mich seitdem durch alle möglichen Höhenflüge und Krisen.
Das ist immer wieder nötig. Denn das Leben lehrt einen oft genug das Fürchten.

Nicht erst seit den Vorkommnissen in der Silvesternacht in Köln fürchten sich immer mehr Menschen vor Bandenhaften kriminellen Übergriffen von nordafrikanischen jungen Männern und unzureichendem polizeilichen Schutz. Und auch ich mache mir Sorgen um die Sicherheit im öffentlichen Raum. Gleichzeitig fürchte ich mich vor pauschalen Verallgemeinerungen, vor rechtspopulistischer Stimmungsmache und immer schlimmer werdender anonymer Hetze und Häme.

Viel zu oft werden die konkreten Menschen dabei übersehen.
Die einzelnen Flüchtlinge und ihre dramatischen Kriegserfahrungen und Fluchtgeschichten oder die Opfer von sexualisierter Gewalt egal ob in Köln, in Kairo oder anderswo.

Statt die Fakten aufzuarbeiten und die konkreten Täter zur Verantwortung zu ziehen, werden alle Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt. Alle werden kriminalisiert, alles wird in einen Topf geschmissen. Das hilft nur den Rechtspopulisten, die sich in ihren Vorurteilen und Hassparolen gestärkt sehen.

Da kann einem schon ganz Angst und Bange werden.
Geradezu klein erscheinen dagegen berufliche oder private Probleme: Stress, Erfolgsdruck, Konflikte, Überforderungen, Krankheit, Trennungen. Trotzdem sind diese Probleme für viele ein ernsthafter Grund für seelische und körperliche Belastungen und Ursache für Unwohlsein bis hin zu Angstattacken.

Kann die Trias von Kraft, Liebe und Besonnenheit, wie sie im Monatsspruch formuliert wird, im gesellschaftlichen wie im privaten etwas dagegen setzen? Meiner Erfahrung nach ja.
Sicher, die Trias kann alleine keine Probleme lösen und auch keine Ängste nehmen.
Aber sie hilft, meine Haltung den Problemen und Herausforderungen gegenüber zu überdenken.
Und sie hilft mich daran zu erinnern, dass Gott die Menschen nicht alleine lässt, sondern ihnen Kraft, Liebe und Besonnenheit zuspricht.

Wenn ich daran denke und bewusst danach handele, kann es meine Einstellung zu den kleinen und großen Herausforderungen im Leben verändern. Ich lerne, reflexhafte Ängste zu konkretisieren und zu hinterfragen. Ich lerne meine Empörung genauer auszudrücken und zu differenzieren. Ich lasse mich nicht zu verbaler oder körperlicher  Gewalt hinreißen und dulde sie auch nicht bei anderen. Weil ich da nicht mit schreie; weil ich da nicht mit mache. Weil ich mich nicht dazu benutzen lasse, Hetze und Gewaltparolen gegenüber allen, die mir fremd sind, auszugießen.

Stattdessen: Durchatmen, verbal abrüsten, den Betroffenen zuhören und den Einzelfall prüfen. Unaufgeregt und sachlich bleiben und gleichzeitig mitfühlend und solidarisch mit denen, auf die eingetreten wird, egal ob Frauen oder Männer, Homos oder Heteros, Christen oder Moslems, Deutsche oder Asylbewerber.
Nicht Hysterie und Angst bestimmen dann mein Denken und Handeln, sondern Respekt und Gelassenheit.

Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Unpopulär in heutiger Zeit.
Und trotzdem: Es wirkt.

Als Gesellschaft brauchen wir mehr Besonnenheit und mehr Mitmenschlichkeit in den öffentlichen und medialen Debatten. Und in der Tat müssen wir über alle kriminellen Vorkommnisse und Übergriffe aufklären und sie strafrechtlich konsequent verfolgen. Dafür gibt es das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch. Sie gelten für alle. Verfehlungen müssen geahndet werden. Das gilt für Flüchtlinge genauso wie für Neonazies oder Hooligans, für Wirtschaftskriminelle genauso wie für Steuerflüchtlinge oder Sexualstraftäter.

Wer mit Achtung und Besonnenheit auf die jeweilige Situation schaut und die beteiligten Menschen als Mitmenschen sieht und ernst nimmt, der hat mehr Kraft zur Differenzierung und stimmt nicht so leicht ein in Hasstiraden und unzulässige Vereinfachungen.
Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

In diesem Sinn ist der Monatsspruch für Januar kein Zauberspruch. Er ist auch kein Allheilmittel. Aber er ist ein Hinweis auf eine Lebenshaltung, die eins nicht vergisst: Mitmenschlichkeit.