29.03.2019

Miksang

Letzte Woche war ich auf einem Miksang-Workshop im Frauenbildungshaus in Zülpich. Erfüllt und inspiriert bin ich von diesem Workshop zurückgekommen. Und ich frage mich, warum das so ist.

„Miksang Kontemplative Fotografie basiert auf der Lehre des Meditationsmeisters, Künstlers und Gelehrten Chögyam Trungpa Rinpoche (1939–1987). Michael Wood entwickelte die Bausteine des Miksang Training und unterrichtet dies seit Ende der 70er Jahre in Workshops.“ (URL: https://miksang-fotografie.de/ueber-miksang/  aufgerufen 2.04.2019)

„Miksang“ heißt so viel wie das gereinigte Auge. So wie ich es verstanden habe, geht es dabei um eine kontemplative Art und Weise der Fotografie. Miksang ist zunächst einmal eine Wahrnehmungsschule und erst im zweiten Schritt eine bestimmte Art und Weise zu fotografieren. Es geht nicht um Leistungsshow, Bewertungen, Kategorisierungen und die Jagd nach dem besten „Shot“. Stattdessen geht es um das achtsame Hinsehen, Hinspüren und Empfänglichsein für das, was sich meinem Auge  und allen meinen Sinnen im Alltag zeigt.

Ich brauche für Miksang keine Fotosafari im Krüger Nationalpark in Südafrika. Ich brauche auch kein Teleobjektiv oder eine teure Kamera. Was ich brauche: Einen offenen Blick, aufmerksam Sinne und ein wachsames Auge. Mit ihnen gehe ich durch Natur, Straßen und meinen Alltag und setze mich mit einer Art schwebenden Aufmerksamkeit den Bildern aus, die zu mir kommen wollen. Diese Eindrücke nehme ich wahr, nehme sie ernst und – wenn ich die Kamera hoffentlich dabei habe-, bemühe ich mich darum, das Gesehene und Erspürte aufzunehmen.

Miksang verändert meine Sehgewohnheiten. Ich staune über frische Wahrnehmungsimpulse und überraschende Augenblicke.

Es hat mir die letzten Tage viel Freude gemacht, die Natur, mein Umfeld und alles um mich herum neugierig anzusehen, wahrzunehmen, zu riechen, hinzuhören und geradezu mit einem Ganzkörper-Flash überflutet zu werden. Es war ein wahrer Sinnesrausch, der mich erfasst hat. Und ich war überrascht, wie viele Details ich gesehen habe, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte.

Für diese Augenschule hatte unsere Trainerin Hiltrud Enders viele kleine und größere Seh-Übungen mit und ohne Kamera vorbereitet, mit denen wir unser Umfeld achtsam und frisch wahrgenommen und später fotografiert haben. Sehhilfen waren Schweigemeditationen einer Kollegin am Morgen, Stille und ein wacher Geist und die Bereitschaft, sich auf das neue Seh-Abenteuer im Alltag einzulassen; Offenheit für den Augenblick, für Farben, Texturen und die Wertschätzung des Einfachen.

Ich bin überrascht, wie viel zarte kleine Details ich gesehen und fotografiert habe. Nichts Bombastisches, dafür Spannendes und Filigranes mitten aus dem Alltagsleben. Ich habe mich an Farben, Texturen und an den einfachen kleinen Dingen erfreut.

Das ist es wohl auch, was mich am Miksang so anspricht. Ich kann es verbinden mit meiner christlich achtsamen Haltung der Natur und anderen Menschen gegenüber. Es ist keine Ideologie, kein neues Dogma, wie Menschen und Dinge zu kategorisieren und zu bewerten sind. Im Gegenteil, es ist ein Staunen über kleine und größere Entdeckungen, über Licht und Schattenspiel, über Details und Filgranes, über Farbeindrücke und verschiedene Materialien und Oberflächen.

Diese Art und Weise hinzuspüren und zu schauen beglückt mich. Bilder und Gefühle klingen in mir nach. Und meine ganzes christlich theologisches Bestreben nach Einfachheit, Achtsamkeit und Stille geht in Resonanz mit dieser Form der kontemplativen Fotografie.

Es war sicher nicht das letzte Mal, dass ich einen Workshop von Hiltrud Enders besucht habe. Sie ist eine wunderbare Lehrerin und Trainerin. Und sie lebt, was sie erzählt und  lehrt. Ruhig, fokussiert und wachsam geht sie durch die Welt und entdeckt im Hier und Jetzt Details, Schatten, Spiegelungen und Dinge, die ich überhaupt noch nicht gesehen hatte. Davon möchte ich noch mehr lernen.

Zum Weiterlesen:
Hiltrud Enders, Freude am Sehen. Kontemplative Fotografie, Heidelberg 2019