Am 7.11.2021 ist in der Evangelischen Akademie in Frankfurt der Leonore-Preis verliehen worden. Den Hauptpreis habe ich bekommen. Der Nachwuchspreis ging an Anna Maria Herion. Was für eine große Ehre! Wer die Preisverleihung nochmal schauen möchte, hier entlang.

Was für eine große Ehre, dass ich den Leonore-Preis in diesem Jahr erhalten habe! Ich freue mich riesig darüber!
Über 40 Menschen waren dafür in der Evangelische Akademie nach Frankfurt gekommen. mehr durften Coronabedingt nicht teilnehmen. Viele andere im In- und Ausland haben die Preisverleihung digital verfolgt oder können das Video nachschauen.

Am Nachmittag fand gleichzeitig auch das 25jährige Jubiläum des Vereins feministische Theologie in Forschung und Lehre statt und zum 20. Mal ist der Leonore-Preis in diesem Jahr vergeben worden. Jede Menge Gründe zu feiern. Dafür waren Mitglieder des Vereins feministischer Theologie in Forschung und Lehre und ehemalige Preisträgerinnen gekommen. Zahlreiche Mitglieder der Jury waren anwesend, genauso wie Mitglieder der Evangelischen Akademie Frankfurt, der Evangelischen Frauen in der EKHN und viele Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen.

Professorin em. Renate Jost hielt die Laudatio für mein Buch „Queer theologische Notizen“. Juniorprofessorin  Sarah Jäger hielt die Laudatio für den Nachwuchspreis. Dazwischen spielte Bärbel Fünfsinn aus Hamburg stärkende Musik am Klavier. Ute Knie und Hanne Köhler führten gut gelaunt und sicher durch den Nachmittag. Im Anschluss gab es Sekt und Selters. Was für ein Segen, dass die Veranstaltung vor Ort und digital stattfinden durfte. Ich fühle mich reich beschenkt und danke allen, die den Nachmittag vorbereitet, umgesetzt und begleitet haben. Es hat mir soo gut getan!

An meiner Dankesrede hatte ich lange herumgefeilt. Schließlich hielt ich die Rede frei und habe meine Schwerpunkte spontan und intuitiv gesetzt. Hier drucke ich die geschriebene Version ab. Es gilt allerdings das gesprochen Wort,  das im Video nachzuhören ist.
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Liebe Ute Knie, liebe Renate Jost, liebe Mitglieder der Jury des Leonore Preis, liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren!
Vielen Dank für die Laudatio, liebe Renate Jost! Es tut mir gut, deine Worte zu hören!

Es ist mir eine Freude und große Ehre heute hier zu stehen und den Leonore-Preis entgegen zu nehmen. Ich sehe den Preis auch als Wertschätzung für die gemeinsame Arbeit des Bloggerteams des Online Magazins evangelisch.de in der Rubrik kreuz & queer mit dem zuständigen Redakteur Markus Bechtold. Seit über sechs Jahren arbeiten wir zusammen. Danke dafür!

Gleichzeitig verstehe ich den Preis als Würdigung der Arbeit von so vielen haupt- und ehrenamtlich Aktiven im Umfeld von Kirche, die sich für Respekt und Gleichberechtigung von queeren gläubigen Menschen und anderen Minderheiten einsetzen. Ganz besonders erwähnen möchte ich meine Geschwister vom European Forum of Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Christian Groups. Queere Gläubige und religiös Suchende aus über 40 christlich queeren Netzwerken aus über 25 europäischen Ländern treffen sich seit 1982 einmal im Jahr, um sich auszutauschen, miteinander queer theologische Themen zu diskutieren, Bibelarbeiten zu teilen, miteinander zu beten, zu singen, Gottesdienste und Feste zu feiern.

Ich bin seit 1996 deutsche Delegierte des European Forums, und es hat mein Leben verändert. Warum? Weil ich dort von Anfang an Gemeinschaft, Schutz und Wertschätzung erlebt habe.
Ich habe tiefe Freundschaften geschlossen und meine europäische Wahlfamilie gefunden. Ich bin dort auch Mentorin in dem sogenannten „Leadership Program“ für queere christliche Aktivist:innen aus Osteuropa gewesen. Wir begleiten sie, weil sie in ihren Heimatländern kriminalisiert und ausgegrenzt werden.

Viele haben körperliche, seelische oder auch spirituelle Gewalt erfahren. Sie werden von ihren Kirchengemeinden nicht beschützt, sondern von der Kanzel herab als sündig, pervers und nicht Gottgewollt verleumdet oder sogar verdammt. Für diese Leute ist das European Forum da. Und ich bin stolz auf unsere Arbeit. Sie versteht sich als feministisch, befreiungstheologisch, gendersensibel, diskriminierungssensibel im weitesten Sinne. Darüber habe ich auch in meinen queer theologischen Notizen geschrieben.

Die kreative Energie und Solidarität im European Forum konnte ich auch in meine Arbeitsfelder z.B. als Pfarrerin und Studienleiterin des Evangelischen Studienwerks in Villigst oder jetzt als Hochschulseelsorgerin an der ESG in Mainz einbringen. Die Studierenden nehmen diese Impulse dankbar auf und gestalten mit uns gemeinsam sichere und inklusive Orte für alle. Darauf bin ich stolz.
Auch deshalb bin ich dankbar für die Preisverleihung.

Denn Themen rund um lesbisch, schwule, bisexuelle Lebensformen und trans- und intergeschlechtliche Identitäten sind nach wie vor kontrovers und emotional aufgeladen. Auch wenn sich seit meinem Coming-out in den Achtziger Jahren Gott sei Dank viel getan hat. Damals sagte mir die Kirchenleitung der EKHN: Sie werden wegen ihrer Qualifikationen eingestellt und nicht aufgrund ihrer Lebensform. Das waren klare Worte und sie haben mir gut getan. Aber mir wurde damals auch mitgeteilt, dass ich Probleme bekommen werde. Denn das Thema sei nun einmal schwierig.

All diese persönlichen, regionalen und internationalen Erfahrungen sind in meine queer theologischen Notizen eingeflossen. Es sind theologische Miniaturen, Essays und Interviews, die Verbindung und Herausforderungen zwischen queer, feministisch und christlich ausloten. Ohne meine Leute in den ökumenischen Netzwerken und meine Wahlfamilie im European Forum gäbe es das Buch nicht.

Dankbar bin ich für den Preis aber noch aus einem ganz anderen Grund. Ich habe in den neunziger Jahren Leonore Siegele-Wenschkewitz auf mehreren Tagungen in der Evangelischen Akademie in Arnoldshain erlebt und kennen gelernt. Sie war akademisch in der neueren Kirchengeschichte zuhause. Sie setzte sich darüber hinaus aber auch leidenschaftlich gegen Sexismus und Antijudaismus in der Theologie ein. Und sie engagierte sich auch für die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bi- und Trans-Personen in der Kirche. Bereits 1985 konnte aufgrund ihrer Unterstützung die erste Lesben und Kirche Tagung in der Ev. Akademie Arnoldshain stattfinden, als das noch nirgendwo anders ging. Damit ist sie neben Herta Leistner, Monika Barz und Ute Wild sozusagen zur Mitbegründerin der Lesbentagungen im Umfeld Kirche geworden. Sie finden bis heute erfolgreich einmal im Jahr an der Evangelischen Akademie in Bad Boll statt.

Siegele-Wenschkewitz war auch Mit-Gastgeberin der Tagung des European Forums im Mai 1998, als sich über 150 Teilnehmer:innen aus Nord- und Süd-, Ost- und Westeuropa in Arnoldshain trafen und über queer-theologische Themen diskutierten. Ich erinnere mich noch wie heute an die bunte Menge von Menschen aus ganz Europa, die vier Tage lang in den Tagungsräumen, im Garten und auf dem Gelände der Akademie zu sehen war. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Alle spürten: sie sind hier herzlich willkommen und müssen sich nicht verstecken. Das war auch ein Verdienst von Leonore Siegele-Wenschkewitz. Insofern bin ich ihr bis heute von Herzen dankbar und fühle mich geehrt, in diesem Jahr den nach ihr benannten Preis zu empfangen.

Abschließen möchte ich mit einem Gedicht, das auch im Buch steht.
Es heißt (Nicht nur an) Ostern.

Ostern
Heraus drängen aus Mauern von Angst und Vorurteilen.
Steine weg wälzen aus Sachzwängen, Befindlichkeiten, engen Grenzen.
Sich endlich trauen, sich zu zeigen, Ich zu sagen, da zu sein, Platz einzunehmen.
So wie ich bin.
So wie Gott mich geschaffen hat
und gesegnet.

Ostern
Heraus aus den Grabhöhlen fester Vorstellungen
zeigt sich ein Mensch,
bekennt sich zu sich selbst.
Seht her, so bin ich!
Von Gott gewollt und gesegnet.

Coming Out
Heraus aus den Gefängnissen von Normalitätsvorstellungen.
Was sollen denn die Nachbarn sagen?
Wie kannst du uns das antun?
Was haben wir bloß falsch gemacht?
Nicht mehr länger bereit sein, sich zu verstecken,
nicht mehr länger fähig, ein Doppelleben zu führen,
nicht mehr länger willig,
sich im Schrank zu vergraben.

Ostern
Da hat es uns einer vorgemacht.
Er ist herausgetreten aus Gewalt, Hass und Tod.
Er hat tödliche Erwartungshaltungen überwunden
und uns zugerufen: Seht her, ich lebe, lebt ihr auch!

Coming Out
Heraustreten aus den Grabhöhlen von Vorurteilen und Verleumdungen.
Sich trauen ich selbst zu sein, so wie ich bin,
von Gott geschaffen,
lesbisch, schwul, bi, trans, inter, queer, anders,
ohne Schublade, ohne Etikett, ohne Normalitätssiegel
und gesegnet.
Einfach ich.
Heraustreten aus den Grabhöhlen von Vorurteilen.
Nicht nur an Ostern.

Foto (c): Doris Stickler