Mein wichtigstes Aschermittwocherlebnis hatte ich in New York City vor fast zwanzig Jahren. Ich erinnere mich immer noch sehr genau:
Es war auf der 42. Straße mitten in Manhattan/New York. Die Uhr zeigte 7:55. Ich
war wie jeden Tag zu dieser Zeit auf dem Weg zur Arbeit zum Büro des Lutherischen
Weltbundes in Manhattan. Erst saß ich in der vollen Subway mit viel Gedränge, wie
jeden Morgen. Ich war froh, danach noch fünfzehn Minuten zu Fuß zum Büro gehen
zu müssen. Zum Ausgleich.
Auf diesem Weg sah ich plötzlich einige Männer und Frauen hinter einer grob beschlagenen
Holztür verschwinden. Einer nach dem anderen. Die Tür war mir vorher
noch nie aufgefallen. Immer mehr Menschen strömten dorthin. Kurz entschlossen und
neugierig folgte ich den Leuten … und landete in einer kleinen Kapelle. Nur der Altar
war mit Kerzen erleuchtet. Trotz der Dunkelheit wirkte sie einladend auf mich. Eine Madonnenstatue und das Lebenslicht am Altar zeigten mir, dass ich in einer katholischen
Kirche stand. Dreißig, vierzig Männer und Frauen waren bestimmt schon da. Die meisten
schick angezogen. Offensichtlich wie ich auf dem Weg zur Arbeit. Sie machten in
dieser kleinen Kapelle Station. Denn es war Aschermittwoch.
Es folgte eine kurze Andacht mit Gebeten und Gesang, und schließlich gab es für alle,
die zum Priester vor traten, ein Kreuz aus Asche auf die Stirn. Ich bin nicht katholisch.
Dennoch stand ich auf und ging ebenfalls nach vorne. Mit dem gut sichtbaren Aschekreuz
auf der Stirn marschierte ich weiter zur Arbeit. Es fühlte sich gut an.
An diesem Morgen in Manhattan kam ich mit einem Aschekreuz zur Arbeit. Und dann
auch noch zu spät. Meine Kollegen schmunzelten, mein Chef runzelte die Stirn. Wo ich
denn gewesen war, wollte er wissen. Ich erzählte es ihm und erklärte:
„Ökumenische Gespräche und Begegnungen sind beim Lutherischen Weltbund doch ganz wichtig. Und für mich gehört diese Morgenandacht am Aschermittwoch zur gelebten Ökumene dazu.“
Mein Chef hat das akzeptiert, und wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über christliche Rituale und Symbole an diesem Morgen.
Das Aschekreuz wird in christlichen Kirchen schon seit dem 12. Jahrhundert gespendet.
Der Mensch wird damit erinnert, dass er vergänglich ist. Und er wird zur Umkehr
gerufen. Nach den tollen Tagen von Karneval und Faßnacht markiert der Aschermittwoch
den Beginn der Fastenzeit, die bis zum Osterfest dauert. Der Aschermittwoch
ist ein Übergang. Erst fröhlich feiern, dann bewusst verzichten. Das Aschekreuz zeigt
dabei deutlich an, dass eine andere Zeit anbricht.
Ich habe mein Kreuz damals in Manhattan den ganzen Tag auf der Stirn behalten.
Dadurch kam ich nicht nur mit meinem Chef ins Gespräch, sondern auch mit vielen
Kolleginnen und Bekannten. Die meisten von ihnen konnten etwas mit dem Symbol anfangen.
Für die einen ist es ein Schutzzeichen, für andere ein Erinnerungszeichen: Ich
bin endlich, ich mache Fehler. Die Dritten bekamen Mut, bewusst irgendeinen Verzicht
zu üben. Gute Gespräche waren das. Dafür bin ich dem Aschekreuz in Manhattan
bis heute dankbar.
Überarbeiteter Radiobeitrag im hr 2 Zuspruch am Morgen vom 17.02.2010.
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