Nach der Legende wollte Martin von Tours nicht Bischof werden. Aber bekannt wurde der heilige Sankt Martin durch seinen Mantel.
Als Kind habe ich es geliebt, am 11.11. mit einer selbst gebastelten Laterne mit anderen zusammen durch die Straßen zu ziehen und zu singen. Das wichtigste: Es war dunkel. Wann durfte ich schon einmal auf die Straße, wenn es schon dunkel war? Die vielen leuchtenden Laternen in der Dunkelheit, die feierliche Atmosphäre, singen und länger aufbleiben. Das waren die Zutaten, die mich als Kind begeistert haben. Und ich hatte mächtig Respekt vor dem Mann auf dem Pferd, der voran ritt. Sankt Martin hieß er. Das wusste ich. Und er hatte einem Bettler geholfen. Denn er hatte ihm seinen halben Mantel geschenkt. Deshalb wurde er heilig gesprochen. Ehrfürchtig schaute ich auf das große Pferd, auf den Mann mit Helm und den roten Umhang. Und als er zum Abschluss des Umzugs tatsächlich seinen roten Umhang in zwei Teile teilte und die eine Hälfte einem bereitstehenden älteren Mann gab, gab es tosenden Applaus.
Später fragte ich mich, warum wir früher Sankt Martin auf dem Pferd applaudiert haben und seine Taten toll fanden. Aber wenn jemand in der Fußgängerzone bettelt, fühle ich mich gestört und schnell genervt. Bis heute gebe ich Bettlern auf der Straße nur selten etwas. Ja klar, ich spende Geld an verschiedene diakonische Einrichtungen. Sie unterstützen Arme und Wohnungslose, sie arrangieren ambulante Hilfen und Pflege und nehmen Kranke und Pflegebedürftige in Krankenhäuser, Seniorenheime und andere Einrichtungen auf. Ich engagiere mich selbst ehrenamtlich. Aber Bettlern gebe ich nicht die Hälfte meines Mantels ab. Das würde mir ziemlich verrückt vorkommen.
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist die Geschichte vom Heiligen Sankt Martin für viele bis heute faszinierend. Auch die evangelischen Kirchen wollen den Martinstag zukünftig feiern. Die EKD-Synode wird eine Liturgie für den Martinstag am 11.11. in eine neue Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder aufnehmen. Genauso wie für den Nikolaustag am 6.12. und den 27.01. als Erinnerung an die Befreiung aus dem Konzentrationslager Ausschwitz.
Es gibt also sogar eine Liturgie für Heiligengedenktage in der evangelischen Kirche. Allerheiligen wird von immer mehr evangelischen Gemeinde im Sinne von Dank und Erinnerung an Alltagsheilige gefeiert. Die bekannte US Amerikanische lutherische Pfarrerin Nadia Bolz-Weber nennt ihre Gemeinde sogar das Haus für alle Heiligen und Sünder. Und es gibt sogar eine niederrheinische Initiative, die die Martinstradition als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkennen lassen will. Heilige sind weiterhin wichtig im Leben von vielen Menschen. Und der Heilige Sankt Martin ist besonders beliebt. Aber was hatte es eigentlich mit ihm auf sich?
Nach der Legende war Martin von Tours als Jugendlicher ins römische Heer eingetreten. Er war damals 15 Jahre alt. Einige Jahre später traf er als Soldat am Stadttor von Reims auf einen fast unbekleideten Bettler. Das Schicksal des frierenden Mannes rührte ihn an. Da er außer seiner Uniform und seinem Schwert nichts dabei hatte, teilte er seinen Mantel in zwei Tele. Den einen Teil gab er dem Bettler. Die anderen Soldaten verspotteten ihn dafür. Aber Martin ließ sich nicht beirren.
In der nächsten Nacht erschien ihm Jesus im Traum. Er bedankte sich bei Martin. Denn was er dem Bettler getan habe, habe er ihm getan. Nach diesem Traum informierte er sich über das Christentum und ließ sich taufen. Sobald er konnte, trat er aus dem Militär aus. Er wurde Priester und lebte zunächst als Einsiedler. Um 360 nach Christus soll er in Ligugé das erste Kloster des Abendlandes gegründet haben. Im Jahr 375 baute er in der Nähe von Tours ein weiteres Kloster: Marmoutier. Er lebte dort mit Gleichgesinnten ein einfaches Leben im Gebet. Einige Jahre später wurde ein Bischof für Tours gesucht. Die Menschen schlugen den bescheidenen und hilfsbereiten Martin dafür vor. Das wollte der aber nicht und versteckte sich der legende nach in einem Stall. Hühner sollen ihn verraten haben, als Menschen nach ihm suchten. Eine andere Erzählung sagt, dass man Martin ans Bett einer sterbenskranken Frau rief, die mit ihm sprechen wollte. Da eilte Martin sofort dorthin. Man traf ihn dort an und machte ihn zum Bischof.
Martin starb mit 81 Jahren am 8. November 397. Am 11.11. wurde er begraben. Viele einfache Menschen trauerten um ihn und nahmen an der Beerdigung teil. Martin von Tours wurde heilig gesprochen. Nicht als Märtyrer sondern als einer, der mit einem einfachen und hilfsbereiten Leben überzeugte. Seine Weltzugewandtheit und sein Gerechtigkeitssinn gilt Mönchen bis heute als Vorbild. Er wurde Patron von Schneidern, Bettlern, Kriegsdienstverweigerern und Außenseitern.
Der Brauch, am 11.11. eine Martinsgans zu essen, ist ebenfalls schon einige hundert Jahre alt. Zu der Zeit war am 11.11. das Wirtschaftsjahr zu Ende. Zugleich war es der letzte Tag vor einer sechswöchigen vorweihnachtlichen Fastenzeit. Dafür wurde am letzten Tag vorher noch einmal ein Festmahl gefeiert.
Was heißt das für mich? Ich erinnere mich weiterhin gerne an die St. Martins-Umzüge meiner Kindheit zurück und schaue Martinsumzügen auch heutzutage gerne zu. Ich nehme St. Martin als Schutzpatron für Ausgestoßene wahr und sehe ihn als Vorbild für Zivilcourage und Entschlossenheit. Er hat sich vom Spott anderer Soldaten nicht von seiner Überzeugung abbringen lassen. Er ist bescheiden geblieben und hat sich auch als Bischof weiter für Arme und Ausgeschlossene eingesetzt. Solche Leute brauchen wir heute mehr denn je. Ein Heiliger als Vorbild im Alltag. So kann ich auch heute noch etwas mit dem heiligen St. Martin anfangen.
Letzte Kommentare